Dinçer Güçyeter: Mein Prinz, ich bin das Ghetto. Gedichte. Elif. Nettetal, Mai 2021
Zu den großen Stärken des Dichters Dinçer Güçyeter gehört es, „hemmungslos auf die Leute zuzugehen“. Fern allen prätentiösen Gehabes wirbt Güçyeter mit entwaffnender Offenheit für seine Gedichte, Theater- und Verlagsprojekte und hat sich in den vergangenen Jahren dafür immer mehr Anerkennung erworben. 1964 kam seine Familie aus der türkischen Ägäis nach Grevenbroich in die Kölner Bucht, wo der Vater zunächst im Braunkohle-Tagebau malochte, später zog er nach Nettetal am Niederrhein, wo er in einer Schuhfabrik arbeitete. Geboren 1979 in Nettetal, absolvierte das „Gastarbeiterkind“ Dinçer Güçyeter von 1996 bis 2000 eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker und arbeitet bis heute neben seiner literarischen und verlegerischen Arbeit als Gabelstaplerfahrer. Seine erste große ästhetische Passion galt dem Theater. 2014 übernahm er die Leitung des Anka Ensembles des interkulturellen Katakomben Theaters in Essen, drei Stücke wurden dort unter seiner Regie aufgeführt. 2011 gründete Güçyeter den ELIF Verlag mit dem Programmschwerpunkt Lyrik; als Mentor, Thinktank und Freund unterstützt ihn dabei der Schriftsteller und Übersetzer Wolfgang Schiffer.
In seiner eigenen Dichtung erprobt Güçyeter die unterschiedlichsten Formen: den „Orient-Rap“ und die liedhafte Beschwörung der eigenen Herkunft ebenso wie das rhapsodische Langgedicht, den lakonischen Siebenzeiler und die fetzige poetische Epistel. Er bevorzugt eine kühne Bildlichkeit, gespeist aus Drastik, Direktheit und Emphase: „Ich bin deutscher Dichter (Bastard) mit Migrationshintergrund .../ den Weihnachtsbaum schmücke ich mit Feigen/ Datteln und Dönerblättchen/ mein Pony füttere ich mit Gummibärchen ...“ In Gedichten, die direkt an die eigenen Eltern adressiert sind, werden im aktuellen Band „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ (2021) die Glücksmomente der Kindheit und die wilden Träume eines unreglementierten Lebens zum Leuchten gebracht. (M. B.)