Volker Braun: Große Fuge. Gedichte. Suhrkamp. Berlin, Mai 2021
Der Dichter und Dramatiker Volker Braun ist ein poetischer Häretiker von außerordentlichem Rang. Seit seinem ersten Buch, dem Gedichtband „Provokation für mich“ von 1965, gehörte er in der DDR zu den „abweichend Denkenden“, ein melancholischer Marxist, der auch nach dem Ende des realen Sozialismus seine Kritik der Macht fortsetzte.
Bevor er sich in der „Sächsischen Dichterschule“ mit seinem Weggefährten Karl Mickel die strenge Verskunst Klopstocks und Hölderlins aneignete, hatte der 1939 in Dresden geborene Braun die Gewalt der Geschichte am eigenen Leib erfahren. Der Fünfjährige überlebte am 13. Februar 1945 den verheerenden Feuersturm Dresdens in einem Luftschutzkeller. Am letzten Tag des Kriegs verlor er seinen Vater, die Mutter blieb mit fünf Söhnen zurück. In der DDR, die der Reformsozialist Braun im Geiste Bertolt Brechts von links kritisierte, forderte er vom real existierenden Sozialismus das Ende der Zensur und die freie Entwicklung aller. Später, im wiedervereinigten Deutschland, in dem er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, exponierte er sich als ein scharfer Kritiker des gefräßigen Kapitalismus.
In den zwanzig Gedichten seines Gedichtbuches „Große Fuge“ will er nun den Zustand einer im Corona-Jahr 2020 zutiefst verstörten Gesellschaft evozieren – in einer globalen Perspektive, wie sie einst seine poetischen Vorfahren Dante oder Ezra Pound eingenommen haben. Was an diesem Gedichtbuch verblüfft und fasziniert, ist die stilistische Souveränität, mit der Volker Braun das Corona-Thema in seine weit aufgefächerte Bildwelt zwischen antiker Mythologie und marxistisch gefärbtem Geschichtsdenken integriert. (M. B.)