Mit ihrer Geschichte „Der Cousin“ hat Nava Ebrahimi bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in diesem Jahr den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Sie erzählt darin von einer Schriftstellerin, die ihren Cousin, einen Tänzer, in New York besucht. Sie treffen sich im Theater – und bei dieser Begegnung, während er tanzt und sie aus einem Roman vorliest, kommt es das erste Mal zu einem Austausch über die Flucht aus ihrem gemeinsamen Heimatland, dem Iran. „Mein Cousin und ich“, heißt es an einer Stelle, „wir haben noch nie darüber geredet. Wir haben es noch nicht einmal versucht“. Ein Text, so die Jury, der eine hochaktuelle Kernfrage stellt: Wie viel Show braucht es, damit Botschaften überhaupt noch wahrgenommen werden? Der Fokus liegt dabei auf der Kunst: Tanz und Literatur eröffnen in dieser Geschichte Räume und Möglichkeiten, die es leichter machen, traumatische Erlebnisse überhaupt auszudrücken. Erst auf der Bühne gelingt es dem Cousin, über das zu erzählen, was er als Zwölfjähriger erfahren musste, und die Autorin schafft eine Auseinandersetzung mit dem, was sie eine Art „Sperrgebiet der Familiengeschichte“ nennt, nur im Roman. Ein Text über Migration und verdrängte Erinnerung, über die Kraft von Tanz und Literatur, über Unsagbares und den Kipp-Moment, wie es doch zu Sprache werden kann. (A.-D. K.)
Auszeichnungen u. a.: Debütpreis des Österreichischen Buchpreises (2017), Morgenstern-Preis des Landes Steiermark (2019), Rotahorn-Literaturpreis (2020), Ingeborg-Bachmann-Preis (2021).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Sechzehn Wörter“, Roman, btb, München 2017
– „Das Paradies meines Nachbarn“, Roman, btb, München 2020
– „Einander. Ein Buch das Generationen verbindet“, Leykam, Graz 2021