Der Dichter und Dramatiker Volker Braun ist ein poetischer Häretiker von außerordentlichem Rang. Seit seinem ersten Buch, dem Gedichtband „Provokation für mich“ von 1965, gehörte er in der DDR zu den „abweichend Denkenden“, ein melancholischer Marxist, der auch nach dem Ende des realen Sozialismus seine Kritik der Macht fortsetzte.
Bevor er sich in der „Sächsischen Dichterschule“ mit seinem Weggefährten Karl Mickel die strenge Verskunst Klopstocks und Hölderlins aneignete, hatte der 1939 in Dresden geborene Braun die Gewalt der Geschichte am eigenen Leib erfahren. Der Fünfjährige überlebte am 13. Februar 1945 den verheerenden Feuersturm Dresdens in einem Luftschutzkeller. Am letzten Tag des Kriegs verlor er seinen Vater, die Mutter blieb mit fünf Söhnen zurück. In der DDR, die der Reformsozialist Braun im Geiste Bertolt Brechts von links kritisierte, forderte er vom real existierenden Sozialismus das Ende der Zensur und die freie Entwicklung aller. Später, im wiedervereinigten Deutschland, in dem er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, exponierte er sich als ein scharfer Kritiker des gefräßigen Kapitalismus.
In den zwanzig Gedichten seines Gedichtbuches „Große Fuge“ will er nun den Zustand einer im Corona-Jahr 2020 zutiefst verstörten Gesellschaft evozieren – in einer globalen Perspektive, wie sie einst seine poetischen Vorfahren Dante oder Ezra Pound eingenommen haben. Was an diesem Gedichtbuch verblüfft und fasziniert, ist die stilistische Souveränität, mit der Volker Braun das Corona-Thema in seine weit aufgefächerte Bildwelt zwischen antiker Mythologie und marxistisch gefärbtem Geschichtsdenken integriert. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Heinrich-Heine-Preis der DDR (1971), Heinrich-Mann-Preis (1980), Lessing-Preis der DDR (1981), Bremer Literaturpreis (1986), Berliner Literaturpreis (1989), Schiller-Gedächtnispreis (1992), Deutscher Kritikerpreis (1996), Hans-Erich-Nossack-Preis, Erwin-Strittmatter-Preis (1998), Georg-Büchner-Preis (2000), Candide-Preis (2009), Kunstpreis der Stadt Dresden (2012).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Provokation für mich“, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1965
– „Vorläufiges“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1966
– „Wir und nicht sie“, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1970
– „Gegen die symmetrische Welt“, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1974
– „Training des aufrechten Gangs“, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1979
– „Gedichte“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1979
– „Langsamer knirschender Morgen“, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1987
– „Unvollendete Geschichte. Arbeit für morgen“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 1988
– „Bodenloser Satz“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990
– „Der Stoff zum Leben 1–3“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990
– „Die vier Werkzeugmacher“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1996
– „Die Unvollendete Geschichte und ihr Ende. Mit zwei Nachträgen“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1998
– „Das Wirklichgewollte“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2000
– „Wie es gekommen ist. Ausgewählte Prosa“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002
– „Das unbesetzte Gebiet“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004
– „Auf die schönen Possen“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005
– „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008
– „Flickwerk“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
– „Werktage 1. Arbeitsbuch 1977–1989“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
– „Die hellen Haufen“, Erzählung, Suhrkamp, Berlin 2011
– „Werktage 2. Arbeitsbuch 1990–2008“, Suhrkamp, Berlin 2014
– „Handbibliothek der Unbehausten. Neue Gedichte“, Suhrkamp, Berlin 2016
– „Verlagerung des geheimen Punkts“, Schriften und Reden, Suhrkamp, Berlin 2019
– „Handstreiche“, Suhrkamp, Berlin 2019
– „Große Fuge“, Gedichte, Suhrkamp, Berlin 2021